Ein Projekt für (junge) Sinti und Roma aus der Stadt und dem Landkreis Leer:
Erfolgreiche Projekte mit Sinti und Roma sowohl im Erwachsenen wie auch im Jugend-bereich sind rar. Neben der Projektarbeit haben wir viel Recherchearbeit geleistet, um uns in Netzwerke einzubinden. Hier ist mit dem Start des Vorhabens - als durch die NBank finanziertes Innovationsprojekt - ohne Übertreibung Pionierarbeit geleistet worden. Das hat das Projekt einerseits sehr spannend gestaltet, andererseits konnten wir so gut wie nicht auf externe Erfahrungen zurückgreifen. Eine glückliche Fügung war es, dass Herr Erchenbrecher und Herr Dr. Gardemin im Auftrage des Landesamtes Hildesheim eine Studie über die Bildungssituation von jungen Sinti und Roma an ausgewählten Standorten im Januar 2013 präsentiert haben. Wir waren zu der Präsentation eingeladen und als Impuls war die Studie sehr hilfreich. Auch Herr Dr. Hermann Müller von der Universität Hildesheim, der im Auftrage der NBank mit der Evaluation des Innovationsprojektes betraut war, hat die Besonderheiten der Zielgruppe des Projektes betont.
Der sozialintegrative Ansatz, die guten Vorkontakte zu der Ethnie und die bedingungslose Freiwilligkeit an der Teilnahme boten überhaupt erst die Möglichkeit zu einem umfassenden Projektprozess. Zwänge und Sanktionen hätten die Menschen nur in ihrem Gefühl bestärken, gegängelt und diskriminiert zu werden. Auf Grund unserer gemeinsamen Geschichte sollte es sich für die Mehrheitsgesellschaft verbieten, ungerechtfertigten Zwang auszuüben, ohne sich vorher intensiv um Kooperation zu bemühen. Die Achtung des kulturellen und historischen Hintergrunds und der Lebensrealität von Roma und Sinti, die im Übrigen sehr unterschiedliche ethnokulturelle Hintergrunde haben, muss für eine erfolgreiche Arbeit gewährleistet sein.
Das Sinti und Roma Büro ist als Anlaufstelle und Begegnungsstätte eröffnet worden. Wichtig war es, zunächst einen eigenen Bereich zu entwickeln, der von den Zielgruppenjugendlichen angenommen und akzeptiert wird.
Zur weiteren Infrastruktur zählte ein Fitnesscenter, welches wir nutzen konnten. An zwei Abenden in der Woche trainiert ein entsprechend qualifizierter Sinti mit einer Gruppe von Jugendlichen. Das Sportangebot ist eine sinnvolle Ergänzung des Angebotes und wird regelmäßig von durchschnittlich 20 junge Sinti und Sintessas wahrgenommen. Das Ziel der Anlaufstelle und des Sportangebotes bestand zunächst vor allem darin, aktuelle Informationen über die individuelle und familiäre Situation, die erlebte Situation in der Schule, in (Qualifizierungs-) Maßnahmen, im Umgang mit dem Jobcenter etc. zu sammeln und auszuwerten, um hier individuelle Förder- oder Hilfspläne zu entwickeln. Das weitere Ziel war natürlich, Ansatz- und Interventionspunkte für strukturelle Probleme zu ermitteln. Hier stellte sich die Situation schwieriger als erwartet dar. Die Zielgruppe war seit langer Zeit von keiner Förderkulisse erreicht worden und somit bestand zunächst auch wenig Bereitschaft sich auf das Projekt einzulassen. Somit mussten wir das Ziel, eine Brücke zwischen der Mehrheitsgesellschaft und der Minderheit herzustellen, in der Zielhierarchie nach oben stellen.
Die neue Möglichkeit zu haben, welche sich aus dem Innovationsprojekt ergeben hat, sich zu begegnen und wieder ins Gespräch zu kommen, sollte diese Brücke bewirken. Der Bau einer Brücke alleine bewirkt allerdings noch lange keine Begegnung, gleichberechtigte Begegnung findet erst statt, wenn die Brücke auch von beiden Seiten benutzt wird.
Die so extrem unterschiedliche Ausgangslage der Mitarbeiter machte es nötig – viel mehr als erwartet – dass sehr viel Zeit benötigt wurde, die geplanten Themenbereiche intensiv und auch kontrovers zu diskutieren. Es war unausweichlich für den Mitarbeiter aus der Mehrheitsgesellschaft sich tief in die Materie einzulesen. Die Geschichte der europäischen Rom Völker, besonders die der deutschen Sinti musste erkannt und verstanden werden. Zu realisieren, dass der Porajmos (deutsch: „das Verschlingen“ - bezeichnet den Völkermord an den europäischen Sinti und Roma) bis heute wirkt, ebenso wie die Zeit der „zweite Verfolgung“ nach dem Nationalsozialismus ist notwendig.
Das niedrigschwellige Angebot einer Sozialberatung in unterschiedlichen Lebenslagen, in der Teamarbeit von Sinti und Nicht-Sinti, werden immer besser angenommen.
Ausschlaggebend hierfür ist die Mitarbeit von zwei hauptamtlichen Sinti in dem Projekt.
Wir haben in dem Projektzusammenhang auch gut mit dem jobcenter und der Sozialverwaltung kooperiert. Nach anfänglich offen geäußerter Skepsis wurde die Zusammenarbeit auch hier sukzessive besser zumal die Rückmeldungen aus den Sozialverwaltungen erkennen ließen, dass es weniger „Reibung“ gab und das Verhalten beidseitig kooperativer wurde. In diesem Zusammenhang gebührt dem Landkreis Leer ein besonderes Lob und besondere Anerkennung, weil der Landkreis nicht nur konzeptionell aktiv mitarbeitet, sondern auch das Projekt bis Ende 2018 finanziell sicherstellt.
MaroKehr – Sinti und Roma Kulturzentrum Oldenburg, Arbeitskreis Schule Rhauderfehn, Kolping Möbellager Papenburg, Neue Ambulante Maßnahmen, Schulmuseum Folmhusen, Ehemalige Jüdische Schule Leer, Pestalozzi Schule (Förderschule), Ostfriesische Landschaft Aurich, Jugendscouts Leer, Kreishandwerkerschaft, Freie christliche Gemeinde, Lee Werk Wisa, Männerkreis Kirchengemeinde Kirchborgum.
Das Projekt möchte dafür Sorge tragen, dass die traditionelle Sprache erhalten bleibt. Die Verbesserung der traditionellen Sprachkenntnisse bei Kindern und Jugendlichen und die Auseinandersetzung mit der eigenen kulturellen Identität bewirkten auch eine Verbesserung der deutschen Sprache und ein besseres Verständnis des kulturellen Hintergrunds der Mehrheitsgesellschaft. Zudem konnte langsam der Begriff des `Lernens´ positiv besetzt werden.
Wir haben mit allen uns relevant erscheinenden Schulen, mit dem Schulamt des Landkreises Leer und mit dem Kreisjugendamt ergebnisoffene Gespräche geführt. Schulabsentismus ist (O-Ton) seit einer `gefühlten Ewigkeit´ ein großes Problem, dem sich die handelnden Akteure immer wieder und häufig erfolglos genähert haben. Es sei alles versucht worden von Gesprächen bis hin zu verhängten Ordnungsstrafen, aber die Situation habe sich nicht erkennbar verbessert. Alle Gesprächspartner waren dem Projekt gegenüber nicht alleine sehr offen, sondern haben großes Interesse an der Zusammenarbeit geäußert. Diese Kooperation läuft seit dem Projektstart im Januar 2013 mit viel Engagement aller Seiten sehr erfolgreich.
Das Sportangebot wurde vom ersten Tag an von den geplanten zwanzig Personen genutzt. Es verdient besondere Erwähnung, dass Frauen und Männer im gleichen Kurs trainieren und das Angebot nutzen. Nur der „Schutz“ der Gruppe macht dieses gemeinsame Training möglich, welches bundesweit einmalig sein dürfte. Die gemeinsame Freizeitgestaltung bringt Menschen ins Gespräch und gibt uns die Möglichkeit einer niedrigschwelligen Kontaktaufnahme. Wir haben mit den Jugendlichen und den Eltern ein traditionelles Bolina Turnier (ähnlich dem Boccia) im August organisiert. Es waren insgesamt 39 Teilnehmer auf dem Turnier.
Eine schriftlose Kultur verliert schon nach wenigen Generationen ihre Erfahrungen und ihre Geschichte. In Zusammenarbeit mit Frau Hensmann aus dem Stadtarchiv Leer haben wir uns auf die Spurensuche der Leeraner Sinti begeben. Es bleibt jedoch weiter unklar, warum sich Anfang der fünfziger Jahre die ersten Sinti Familien in Leer niedergelassen haben. Die weiteren Entwicklungen und Veränderungen in der Wohnsituation können wir bis heute lückenlos nachvollziehen.